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§ 14 UrhG - Entstellung des Werkes


Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.



I. Überblick

Durch § 14 UrhG wird der Schutz des Urhebers vor Entstellung und anderen Beeinträchtigungen seines Werkes beschrieben und damit der Abschnitt des Urheberpersönlichkeitsrechts vorläufig beendet. Vorläufig zum einen, weil Urheberpersönlichkeitsrechte sich auch an anderen Stellen außerhalb der §§ 1214 UrhG befinden. Als wichtigste Beispiele wären da etwa das Folgerecht (§ 26 UrhG) oder das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG) zu nennen. Zum anderen ist das Urheberpersönlichkeitsrecht im Gesetz nicht abschließend geregelt und dadurch offen für Weiterentwicklungen durch Rechtsprechung und Praxis (Näheres zum Urheberpersönlichkeitsrecht in der Kommentierung zu § 12 UrhG).

Während § 13 UrhG die Anerkennung des Urhebers sicherstellt, fordert § 14 UrhG Respekt gegenüber seinem Werk. Das Werk wird jedoch nicht um seiner selbst willen von Eingriffen geschützt. Es ist nicht das Ziel der Vorschrift, Werke aufgrund ihres künstlerischen oder wissenschaftlichen Anspruchs im Interesse der Allgemeinheit zu erhalten. Geschützt werden die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers. Wird ein Werk in der Öffentlichkeit verunstaltet, so kann dies nicht nur die Wertschätzung des Werkes beeinträchtigen, sondern es leiden auch der Ruf und die Ehre seines geistigen Vaters.

Das in § 14 UrhG etablierte Prinzip der Interessenabwägung und die Bedeutung der geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers bilden die Grundregeln für den Bereich des Integritätsschutzes. Sie werden durch weitere Spezialvorschriften in anderen Abschnitten des Urheberrechts ergänzt und konkretisiert. Auf dem Gebiet der Nutzungsverträge erfolgt eine Interessenabwägung gemäß § 39 UrhG vorrangig nach den Prinzipien der Vertragsauslegung und dem Gebot von Treu und Glauben. Eine ähnliche Regelung enthält § 62 UrhG für die Nutzung eines Werkes aufgrund von Schrankenbestimmungen (§§ 44a ff. UrhG). Eine erhebliche Einschränkung des Integritätsschutzes zulasten des Urhebers enthält § 93 UrhG für den Bereich der Filmwerke.

Im System der änderungsrechtlichen Vorschriften ist § 14 UrhG grundsätzlich neben den §§ 39 und 62 UrhG anwendbar. Dies hat zur Folge, dass die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers auch innerhalb von Verträgen und beim Gebrauch von Schrankenbestimmungen stets zu beachten sind. § 39 UrhG gilt zwar unmittelbar nur für Nutzungsverträge, findet aber auch analoge Anwendung auf sonstige Verträge mit dem Urheber. Bedeutung hat § 14 UrhG neben den Anwendungsbereichen der §§ 39 und 62 UrhG besonders in Fällen, in denen die Werknutzung entweder insgesamt unzulässig ist, weil es sowohl an einem Vertrag als auch an dem Eingreifen einer Schrankenbestimmung fehlt, oder der Gebrauch über die jeweilige Befugnis hinausgeht. An einem Vertrag kann es beispielsweise auch dann fehlen, wenn eine geschlossene Vereinbarung durch Anfechtung nichtig geworden ist. § 14 UrhG ist ferner im Anwendungsbereich der §§ 39 und 62 UrhG immer dann einschlägig, wenn der Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts betroffen ist.

II. Das Verbotsrecht gegen Entstellungen und andere Beeinträchtigungen

Gemäß § 14 UrhG kann der Urheber eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden, verbieten.

Diese Formulierung des Gesetzes ist nicht ganz eindeutig. Es stellt sich die Frage, ob die Eignung zur Interessengefährdung nur im Falle anderer Beeinträchtigungen oder auch beim Vorliegen einer Entstellung erforderlich ist. Der Wortlaut lässt beide Deutungsmöglichkeiten zu. Bevor wir dies beantworten, müssen wir jedoch zunächst einmal die Bedeutung der Begriffe “Entstellung” und “andere Beeinträchtigung” erschließen.

1. Entstellung

Die Entstellung ist ein Unterfall der Beeinträchtigung, und zwar eine besonders intensive Form der Beeinträchtigung. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch ist der Begriff der Entstellung sehr subjektiv geprägt. Das Vorliegen einer Entstellung hängt überwiegend von den individuellen Empfindungen und Anschauungen des jeweiligen Betrachters ab. Was für den einen entstellend wirkt, stellt in den Augen des nächsten möglicherweise eine Form der Vollendung dar. Für den rechtstechnischen Begriff der Entstellung i.S.d. § 14 UrhG haben subjektive Maßstäbe des Einzelnen indes keine Bedeutung. Eine objektive Auslegung frei von Wertvorstellungen – auch künstlerischer Art – bildet den Ausgangspunkt. Eine Entstellung ist jede gravierende Verzerrung oder Verfälschung der Wesenszüge des Werkes (Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 8, BGH GRUR 1958, 81). Erfasst wird somit jede unmittelbare Veränderung des Werkes, welche im Vergleich zu den individuellen Charakterzügen, die der Urheber seinem Werk verliehen hat, eine mehr als nur geringfügige Abweichung bedeutet. Irrelevant ist dabei, ob das Werk eine künstlerische Auf- oder Abwertung erfährt. Auch die “Verbesserung” eines Werkes des Neulings durch den Meister kann eine Entstellung zur Folge haben. Das Änderungsverbot des § 14 UrhG hat nicht das Ziel, Kunst in ihrer jeweils höchsten Form zu erhalten. Als Teil des Urheberpersönlichkeitsrechts möchte es vielmehr die dem Werk anhaftende Authentizität bewahren, wie sie als Produkt der jeweiligen Begabung und persönlichen Gesinnung des schöpferischen Individuums Ausdruck erlangt hat, mag dieser auch nach Ansicht von Fachkreisen nur eine unvollkommene Form erreicht haben. Weil das Werk Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers ist, wird es in seiner tatsächlichen Form geschützt. Genau mit dieser Form ist der Urheber persönlich verbunden, die Abänderung dieser Form wirkt auf das geistige Band zwischen Autor und Werk. Als Entstellung kommt somit jede Veränderung in Betracht, gleich ob sie das Werk verbessert oder verschlechtert. Entscheidend ist das Abweichen von der ursprünglichen Form.

Die Entstellung eines Werkes muss dessen Wesenszüge spürbar verändern. Das bedeutet, dass gerade sein individueller Charakter betroffen sein muss. Leichte Veränderungen, welche das Wesen eines Werkes nur unwesentlich berühren, sind daher nicht entstellend, sondern sind andere Beeinträchtigungen i.S.d. § 14 UrhG.

Unwesentlich ist, ob die Veränderung an einem Original- oder einem Vervielfältigungsstück des Werkes vorgenommen worden ist. Der Schutz ist ohnehin nicht an die körperliche Form eines Werkes gebunden - die Rechte des Urhebers erstrecken sich auch auf Leistungen anderer, wenn sie das Werk ganz oder in Teilen aufgreifen. Die Grenze des Schutzes wird durch § 24 UrhG gekennzeichnet. Eine freie Benutzung kann somit nie eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung eines Werkes darstellen, es sei denn, dass zur Herstellung des neuen Werkes in die Substanz des alten eingegriffen wurde, etwa durch Zerschneiden oder Übermalen des Originalwerkstücks. Bearbeitungen (§§ 3 und 23 UrhG) können regelmäßig die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Autors beeinträchtigen und entstellend wirken, weil sie die individuellen Wesenszüge verändern.

Die Zerstückelung oder teilweise Vernichtung eines Werkes, durch welche nur ein verstümmelter Rest desselben übrig bleibt, ist eine Entstellung. Werbeunterbrechungen im Fernsehen sind daher eine Entstellung des betroffenen Filmwerkes. Dasselbe gilt für in den Werbespots selbst oft verwendeten, auf kurze Passagen geschnittenen Musiktitel. In diesen Fällen ergibt sich die Zulässigkeit jedoch aus den bestehenden Nutzungsvereinbarungen.

Keine Entstellung liegt dagegen in der vollständigen Zerstörung eines Werkes. Dies mag auf den ersten Blick überraschen, denn die Zerstörung ist die denkbar größtmögliche Form der Beeinträchtigung eines Werkes. Der Inhalt des Werkes wird jedoch durch die Zerstörung nicht verändert, es wird keine verzerrte Darstellung des geistigen Inhalts vermittelt. Vielmehr wird es gänzlich der Wahrnehmung entzogen. Die Vernichtung des Werkes ist aber eine andere Beeinträchtigung i.S.d. § 14 UrhG.

2. Andere Beeinträchtigung

Als andere Beeinträchtigung kommen alle sonstigen Eingriffe, die die Form oder den Inhalt des Werkes ändern, in Betracht. Dies kann etwa durch Änderungen der Größe oder der Originalauflösung eines Gemäldes oder einer Fotografie geschehen. Auch die vollständige Zerstörung des Werkes stellt eine andere Beeinträchtigung dar. Darüber hinaus gelten auch solche Einwirkungen als Beeinträchtigung, die das Werk nicht unmittelbar berühren, sondern ihre Wirkung in dessen Umfeld entfalten.

In Rechtsprechung und Literatur sind zahlreiche Beispiele zu dieser Fallgruppe der sogenannten indirekten Eingriffe vorhanden. Beeinträchtigend kann es sein, ein Werk der bildenden Kunst an einem seinem Grundcharakter zuwiderlaufenden Ort auszustellen (Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 9). Das gilt insbesondere, wenn das Werk für einen bestimmten Aufstellungsort geschaffen worden ist, indem es mit den Formen, Farben und Materialien, die es an diesem Ort umgeben, korrespondiert, und wenn dieser Ortsbezug geändert wird (Bullinger, Kunstwerkfälschung und Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 115 f.). Ein beeinträchtigender Zusammenhang kann durch die Abbildung eines Werkes auf einer Kondomverpackung oder durch die Verwendung eines Musikstücks in einem Pornofilm entstehen (Hertin, in: Nordemann, § 14 Rn. 9). Ebenfalls beeinträchtigend ist die Darstellung eines Werkes in einem aufgedrängten politischen Zusammenhang (GRUR 1995, 216). Ein weiteres Beispiel ist die Versehung von Bildern mit für den Verkauf entwickelten Rahmen, auf denen das Bild sich fortsetzt und die so den fälschlichen Eindruck eines vom Urheber geschaffenen Gesamtwerkes hervorrufen (BGH NJW 2002, 552 – Unikatrahmen), oder die Textveröffentlichung in einer gefälschten Zeitungsausgabe, durch die der Urheber in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung gerät (KG NJW-RR 1990, 1065 – Neues Deutschland).

Keine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der konkrete Werkbezug fehlt. Das ist zum Beispiel der Fall bei Nachahmungen oder Entfremdungen des Stils eines Urhebers. Kritik kann ein Werk ebenfalls nicht beeinträchtigen oder entstellen. Durch die Kritik, auch eine herabwürdigende, wird das Werk nicht verändert und auch kein beeinträchtigender Zusammenhang hergestellt. Der Urheber kann sich jedoch gegen die Grenzen des Zulässigen überschreitende Kritik durch Berufung auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht wehren.

Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob die Vernichtung des Werkes eine Beeinträchtigung darstellt. Insbesondere nach früherer Auffassung sah man in der vollständigen Vernichtung keine Beeinträchtigung, weil sie das Werk insgesamt beseitige (RGZ 97, 401 – Felseneiland mit Sirenen; GRUR 1981, 743). Überzeugender ist es jedoch, eine Beeinträchtigung grundsätzlich anzunehmen und die Zulässigkeit der Vernichtung im Wege der Interessenabwägung zu klären (So etwa Dreyer in HK-UrhR § 14 Rn. 47; Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 18; Diez in Schricker, § 14 Rn. 38a). Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Vernichtung als eine der stärksten Formen der Beeinträchtigung des Werkes durchaus geeignet sein kann, die Interessen des Urhebers zu verletzen. Andererseits hat der Urheber keinen uneingeschränkten Anspruch auf Erhaltung aller von ihm in den Verkehr gebrachten Werk- und Vervielfältigungsstücke. Hier müssen auch die Eigentümerinteressen berücksichtigt werden. Wie die unterschiedlichen Positionen im Einzelnen korrespondieren wird weiter unten (II. 4.) näher erläutert.

3. Eignung zur Interessengefährdung

Die festgestellte Beeinträchtigung muss geeignet sein, die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden. Dies wird im Rahmen der Interessenabwägung festgestellt.

Umstritten ist, ob die Entstellung als besonders schwerwiegende Form der Beeinträchtigung ebenfalls zur Interessengefährdung geeignet sein muss. Teile der Rechtsprechung und der Literatur verneinen dies und nehmen an, eine Entstellung sei stets unzulässig, eine Gefährdung der persönlichen Interessen müsse der Urheber daher nur im Fall einer “anderen Beeinträchtigung” darlegen, während das Gesetz dies im Fall der Entstellung generell unterstelle (zur Rechtsprechung vgl. BGHZ 62, 335 – Schulerweiterung). Eine Entstellung beinhalte begrifflich eine Abwertung des Werkes, wodurch die Interessen des Urhebers unweigerlich gefährdet seien. Gegen die Notwendigkeit einer Interessengefährdung spreche zudem das Gesamtgefüge der urheberrechtlichen Regelungen, denn bereits nach § 39 UrhG könne der Urheber dem Nutzungsberechtigten Änderungen verbieten, ohne dass es auf eine Interessenabwägung ankäme. Es wäre daher ein Widerspruch, müsste der Urheber gegenüber einen Unberechtigten in Falle einer Entstellung seine Interessen darlegen (so Bullinger, Kunstwerkfälschung und Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 74; Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 5).

Diese Argumente können nicht überzeugen. Auch die Entstellung als Unterfall der anderen Beeinträchtigung muss geeignet sein, die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers am Werk zu gefährden, was mit Hilfe der Interessenabwägung festzustellen ist.

Dass eine Entstellung im rechtstechnischen Sinne gerade nicht unbedingt eine Abwertung darstellen muss, sondern auch “Verbesserungen” eines Werkes beinhalten kann, ergibt sich aus der bereits oben (II. 1.) dargelegten Notwendigkeit, den Begriff von subjektiven Wertungen frei zu halten. Nicht die Kunst um ihrer selbst willen soll erhalten werden, sondern die Authentizität des Werkes als Ausdruck der Persönlichkeit. Auch ist die Annahme falsch, im Anwendungsbereich des § 39 UrhG erübrige sich eine Interessenabwägung. § 39 UrhG spezifiziert die Regelung des § 14 UrhG im Bereich der Nutzungsverträge und stellt das Änderungsverbot weitgehend unter die Herrschaft vertragsrechtlicher Prinzipien. Dort, wo eine eindeutige vertragliche Regelung besteht, erübrigt sich selbstverständlich eine Abwägung, denn die Parteien haben die Gewichtung ihrer Interessen selbst vorgenommen. Nun sind in der Realität eindeutige Regelungen leider nicht gerade der Prototyp eines Vertragswerkes. Die Vertragsauslegung ist daher nicht selten der einzige Weg zur Ergründung der getroffenen Vereinbarung. Aber bereits in der Vertragsauslegung spielt die Interessenabwägung eine erhebliche Rolle. Dies ergibt sich aus dem Wesen des Vertrages als Kompromiss zweier Parteien mit gegenläufigem Engagement, wobei jeder Teil seine eigene Sichtweise hat und folglich unterschiedliche Schwerpunkte setzt. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. § 39 UrhG selbst bezieht das Prinzip von Treu und Glauben ausdrücklich in seine Regelung ein. Der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet zur billigen Rücksichtnahme und verlangt eine umfassende Interessenabwägung (Palandt, § 242 Rn. 3 f.). Der Unterschied zu § 14 UrhG besteht darin, dass die Vertragsauslegung nach Treu und Glauben neben den persönlichen und geistigen auch die sonstigen (z.B. wirtschaftlichen) Interessen des Urhebers berücksichtigt, soweit diese im Rahmen des Vertragsschlusses erkennbar Einfluss genommen haben. Des Weiteren ermöglicht das Gebot von Treu und Glauben die Einbeziehung des in den Grundrechten verkörperten Wertesystems (Palandt, § 242 Rn. 7), welches ebenfalls durch eine umfassende Interessenabwägung geprägt ist. Das bedeutet, dass der Urheber gemäß § 39 Abs. 1 UrhG Änderungen nur dann verbieten darf, wenn es an einer eindeutigen Regelung fehlt und auch die mit der Vertragsauslegung einhergehende Interessenabwägung nichts anderes ergibt. § 39 Abs. 2 UrhG geht sogar noch einen Schritt weiter, indem es dem Nutzungsberechtigten Änderungen des Werkes unabhängig vom Willen des Urhebers erlaubt, soweit die durch das Gebot von Treu und Glauben bedingte, lediglich am Vertragszweck orientierte Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfällt.

Schließlich ergibt sich aus dem Gesamtgefüge der urheberrechtlichen Regelungen die Notwendigkeit einer Interessenabwägung auch bei Entstellungen. Entscheidend dabei ist insbesondere die Regelung des § 23 UrhG. Sie gestattet Bearbeitungen unabhängig vom Willen des Urhebers, solange sie in der privaten Sphäre erfolgen. Erst beim Verlassen dieser Sphäre wird die Zustimmung des Urhebers erforderlich. Daraus ergibt sich, dass Entstellungen eben doch nicht immer die Interessen des Urhebers gefährden. Eine Interessengefährdung ist andererseits auch im privaten Bereich möglich, zum Beispiel wenn die Bearbeitung mit einem Eingriff in die Substanz des Originalwerkes verbunden ist, etwa durch Zerschneiden oder Übermalen der Leinwand eines Gemäldes. In diesen gravierenden Fällen sind die Interessen des Urhebers trotz Zulässigkeit der Bearbeitung im privaten Bereich verletzt. Von einer Interessengefährdung kann jedoch keine Rede sein, wenn der Bearbeiter nur eines von in tausendfacher Auflage hergestellten Vervielfältigungsstücken verstümmelt. An Hand dieser Gegenüberstellung verschiedener Fallkonstellationen wird deutlich, dass die jeweiligen Umstände des Einzelfalls eine besondere Gewichtung erfordern - eine Gewichtung im Rahmen einer Interessenabwägung. Die Gegenauffassung gelangt in den genannten Beispielen zu genau denselben Ergebnissen. So schreibt auch Bullinger (a.a.O., S. 95), dass ein Künstler ein Werk im privaten Bereich nachahmen und das Vorbild dadurch beliebig entstellen dürfe. Er führt weiter aus, durch die Zerschneidung einer (von vielen) beliebigen Abbildung eines Meisterwerkes werde das Exemplar zwar endgültig entstellt, dennoch würden die Urheberinteressen durch die Entstellung kaum berührt (Bullinger, a.a.O. , S. 80). Damit setzt sich die Gegenansicht selbst in unverkennbaren Widerspruch zu der eigenen These, eine Entstellung sei stets unzulässig und müsse deshalb keiner Interessenabwägung zugeführt werden.

4. Interessenabwägung

Nachdem eine Entstellung oder andere Beeinträchtigung des Werkes festgestellt worden ist, sind die Interessen desjenigen, der den Eingriff vorgenommen hat, den geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk gegenüberzustellen. Überwiegen die Interessen des Urhebers, so kann er den Eingriff verbieten. a) Das Überwiegen oder Unterliegen der Urheberinteressen wird anhand verschiedener Bewertungskriterien festgestellt. Unerheblich sind die subjektiven Vorstellungen des Urhebers, die Bewertung erfordert eine objektive Betrachtungsweise, auf diese Weise wird verhindert, dass übertriebene Empfindlichkeiten oder Eitelkeiten des Urhebers in der Abwägung Gewicht finden (Dietz in Schricker § 14 Rn. 29). Als erstes Kriterium sind die Art und die Intensität des Eingriffes zu beurteilen. Eine Entstellung hat beispielsweise ein größeres Gewicht als eine sonstige Beeinträchtigung. Wird die Substanz des Werkes beeinträchtigt, so wiegt dies besonders schwer. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Reversibilität des Eingriffs (Bullinger, a.a.O S. 80). Eine endgültige, nicht rückgängig zu machende Entstellung kann die Urheberinteressen äußerst tiefgreifend verletzen. Transportiert der Urheber mit seinem Werk eine bestimmte Botschaft, so kann es seine geistigen Interessen gefährden, wenn diese unterdrückt wird. Der Eingriff gewinnt demgegenüber an Intensität, wenn die Botschaft des Urhebers in ihr Gegenteil verkehrt wird. Auch ein irreversibler Eingriff kann die Interessen des Urhebers kaum beeinträchtigen, wenn dieser lediglich an einem von zahlreichen Vervielfältigungsstücken erfolgt. Eine erhebliche Verletzung stellt demgegenüber die Substanzverletzung des Originalwerkstücks, etwa im Bereich der bildenden Kunst, dar. Wird ein Gemälde durch Zerschneiden der Leinwand verstümmelt, so tritt ein nicht wieder gut zu machender Schaden ein, welcher die Urheberinteressen in erheblichen Maße verletzt. Das Werk ist in seiner ursprünglichen Form für immer verloren und kann nicht wiederhergestellt werden. Dasselbe würde gelten für die Vernichtung einzelner Passagen eines Manuskriptes, von dem bisher keine Kopien bestehen. Dagegen berührt es die Interessen des Urhebers kaum, wenn von einer größeren Auflage des Romans nur ein einzelnes Buch betroffen ist. Für das Gewicht der Urheberinteressen ist es deshalb wichtig, ob ein Werkstück mit Originalcharakter betroffen ist oder ob nur eine von vielen vorhandenen Kopien des Werkes der Beeinträchtigung zum Opfer fällt. Auch die Beeinträchtigung des Großteils oder der Gesamtheit einer Auflage kann die Urheberinteressen gefährden. Ein ganz erhebliches Kriterium ist auch der Öffentlichkeitsbezug des Eingriffs. Ist die Beeinträchtigung in der Öffentlichkeit wahrnehmbar, so hat dies Folgen für das Ansehen und die Ehre des Urhebers. Fehlt der Öffentlichkeitsbezug, findet also die Beeinträchtigung in der Privatsphäre statt, so können die Urheberinteressen nur in besonders gravierenden Fällen, wie der bereits dargestellten irreversiblen Entstellung des einzigen Werkoriginals, überwiegen. In der Regel ist daher, wie sich auch aus der Wertung des § 23 UrhG ergibt, ein Öffentlichkeitsbezug erforderlich. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass die Beeinträchtigung bereits publik geworden ist. Es genügt vielmehr das Bestehen der Möglichkeit, dass das veränderte Werk in der Zukunft einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangt (Dreyer in HK-UrhR4, § 14 Rn. 5; RG 79, 397 - Felseneiland mit Sirenen). In dem Fall des Reichsgerichts hatte der Urheber auf Bestellung der Hauseigentümerin im Treppenflur ein Freskogemälde mit der Darstellung nackter Sirenen angefertigt. Die Eigentümerin ließ später dieses Freskobild derart übermalen, dass die ursprünglich nackten Sirenen nunmehr bekleidet erschienen. Das Gericht sah das persönliche Interesse des Künstlers, insbesondere dessen Ansehen und Ehre, bereits dadurch gefährdet, dass sich Besucher der Eigentümerin sowie der einzigen Mietpartei ohne weiteres den Anblick des Bildes verschaffen könnten und durch die Möglichkeit des Verkaufs des Hauses keinerlei Sicherheit bestehe, dass das Werk nicht weiteren Personen zugänglich werde (RG 79, 402). Je größer die Publikationswirkung, desto geringer sind die Anforderungen an die Intensität des Eingriffs. Leichte Veränderungen des Werkes wiegen sehr viel schwerer, wenn sie durch millionenfache Vervielfältigung im großen Stil verbreitet werden. Der Bekanntheitsgrad und die Anerkennung des Urhebers in der Öffentlichkeit dürfen grundsätzlich keine Berücksichtigung im Rahmen der Interessenabwägung finden (so aber BGH GRUR 1989, 107 f.). Anderenfalls wäre eine objektive Bewertung nicht mehr gewährleistet, es bestünde vielmehr die Gefahr, dass ein bekannter Künstler größeren Schutz erhielte und dadurch bevorzugt behandelt würde (Bullinger, a.a.O. S. 79). Ein unbekannter Künstler hat jedoch keine geringeren geistigen und persönlichen Beziehungen zu seinem Werk. Anhand der genannten Kriterien kann eine Bewertung und Gewichtung der Urheberinteressen erfolgen, die den Besonderheiten jedes Einzelfalls hinreichende Beachtung schenkt. Demgegenüber ist der pauschale Hinweis, die Eignung zur Interessengefährdung werde durch das Vorliegen einer Beeinträchtigung bereits indiziert (so etwa Dreyer in HK-UrhR § 14 Rn. 48) bei der Interessenabwägung keine Hilfestellung. Wie bereits dargelegt wurde, sind selbst grobe Entstellungen in manchen Fallgestaltungen ohne weiteres zulässig. b) Gegenüber dem Urheber spielen die Eigentümerinteressen oftmals eine wichtige Rolle. Das Eigentumsrecht gestattet es dem Eigentümer, mit seinen Sachen nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB), er darf sie verkaufen, vermieten, verschenken, zerteilen, wegwerfen oder zerstören. Wenn das Eigentumsrecht jedoch mit dem Urheberrecht in Konflikt gerät, so gilt der Grundsatz, dass das Urheberrecht nur unbeschadet des Eigentumsrechts und das Eigentumsrecht nur unbeschadet des Urheberrechts ausgeübt werden darf (RG 79, 400 – Felseneiland mit Sirenen). Zwischen Urheber und Eigentümer gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Wichtige Teilaspekte des Eigentumsrechts sind der Gebrauchszweck des betroffenen Gegenstandes, das Erhaltungsinteresse sowie die Verfügungsfreiheit des Eigentümers. Sind lediglich Werkexemplare ohne Originalcharakter (Bücher, CDs, DVDs und sonstige Kopien) betroffen, hat das Eigentümerinteresse Vorrang, solange sich der Eingriff auf den privaten Bereich beschränkt und nicht zu befürchten ist, dass die Verunstaltung an die Öffentlichkeit gelangt (Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 13). Änderungen des Werkes können notwendig werden, um den weiteren Gebrauch einer Sache zu gewährleisten. Den Hauptanwendungsfall bildet der Umbau von Gebäuden. Das Urheberrecht des Architekten kommt dabei mit den Interessen des Eigentümers in Konflikt. Durch den Gebrauchszweck bedingte Umbauten sind in der Regel zulässig, wie etwa ein Teilabriss nicht mehr benötigter Bausubstanz oder Erweiterungen, die einem erhöhten Raumbedarf entsprechen, etwa zur Schaffung neuer Wohn- oder Geschäftsräume. Der Eigentümer darf auch jederzeit die Nutzungsart seines Gebäudes ändern und entsprechende Umbauten vornehmen. Der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte; er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben kann (BGH Urteil vom 19.03.2008 – I ZR 166/05 – St. Gottfried; vgl. auch BGHZ 62, 331, 335 - Schulerweiterung). Die Veränderungen müssen jedoch durch den (neuen) Nutzungszweck intendiert sein, rein ästhetische oder geschmackliche Gesichtspunkte reichen nicht aus (Hertin in Nordemann, § 14 Rn. 17). Bei der Erstellung eines Gebäudes ist grundsätzlich der Bauplan des Architekten einzuhalten. Abweichungen sind gerechtfertigt, wenn behördliche Auflagen dies erfordern. Vorher ist jedoch dem Architekten Gelegenheit zu geben, die Änderungen selbst anzupassen (Dreyer in HK-UrhR, § 14 Rn. 65). Auf keinen Fall darf der Bauherr von den Plänen abweichen, nur um Kosten einzusparen. Der Gebrauchszweck eines Gebäudes kann auch durch weitere schutzwürdige Interessen geprägt sein. In der Rechtsprechung spielten wiederholt religiöse Interessen eine Rolle. In einer jüngsten Entscheidung betont der Bundesgerichtshof deren Bedeutung in der Interessenabwägung wie folgt: ,,Dem Schöpfer eines Kircheninnenraums ist bewusst, dass die Kirchengemeinde das Gotteshaus für ihre Gottesdienste nutzen möchte; er muss daher gewärtigen, dass sich wandelnde Überzeugungen hinsichtlich der Gestaltung des Gottesdienstes das Bedürfnis nach einer entsprechenden Umgestaltung des Kircheninnenraums entstehen lassen." (BGH Urteil vom 19.03.2008 – I ZR 166/05 – St. Gottfried). Zur Erhaltung eines Werkes ist es dem Eigentümer gestattet, Restaurationsarbeiten durchführen zu lassen. Damit verbundene unvermeidliche Änderungen sind gerechtfertigt, wenn die Arbeiten fachgerecht durchgeführt werden. Die Verfügungsfreiheit des Eigentümers beinhaltet das Recht, das eigene Hab und Gut zu vernichten. Der Grundeigentümer darf sein Haus abreißen, wenn er das Grundstück auf anderen Weise nutzen möchte, etwa durch die Errichtung eines neuen Hauses. Der Vernichtung des Werkes können jedoch Urheberinteressen entgegenstehen (a.A. RGZ 97, 401 – Felseneiland mit Sirenen; KG GRUR 1981, 743). Das setzt voraus, dass es sich bei dem Objekt um ein Unikat handelt, etwa ein Gemälde, ein Gebäude oder das Manuskript eines Buches. Die Vernichtung bloßer Vervielfältigungsstücke kann der Urheber mit Hilfe des Integritätsschutzes nicht verhindern. Hat sich der Eigentümer für die Vernichtung entschieden, so ist er verpflichtet, das Werk zuvor dem Urheber zum Materialwert anzubieten (Dreyer in HK-UrhR § 14 Rn. 47). Dies gilt jedoch nur, soweit dem Eigentümer die Kontaktaufnahme ohne weiteres möglich ist, etwa weil er eine Anschrift des Künstlers kennt oder leicht ermitteln kann. Aufwändige Nachforschungen muss der Eigentümer nicht unternehmen. Kann er den Kontakt zu dem Urheber nicht herstellen oder lehnt dieser eine Rücknahme des Werkes ab, so steht der Vernichtung nichts mehr im Weg. Ist eine Rücknahme nicht möglich (Bauwerke), so muss dem Urheber angeboten werden, dass er das Werk dokumentiert, indem er zum Beispiel Skizzen oder Fotografien anfertigt (vgl. § 25 UrhG). Vernichtet der Eigentümer das Werk, ohne es trotz bestehender und zumutbarer Möglichkeit dem Urheber vorher angeboten zu haben, so steht diesem ein immaterieller Schadensersatzanspruch zu (§ 97 Abs. 2 UrhG). Im Falle aufgedrängter Kunst überwiegen grundsätzlich die Interessen des Eigentümers, so dass er sich dieser ohne weitere Rücksicht auf den Urheber entledigen kann. c) Ist das Werk Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung, kann es zum Konflikt mit anderen Urheberinteressen kommen. Bearbeitungen des Werkes sind außerhalb der Privatsphäre von der Zustimmung des Originalurhebers abhängig (§ 23 UrhG) und verletzen grundsätzlich auch dessen persönlichen und geistigen Interessen. Im Einzelfall kann sich der Bearbeiter jedoch auf die Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 GG) berufen. Dies gilt insbesondere für Kunstformen, die auf eine Anlehnung an andere Werke angewiesen sind (z.B. Parodie oder Satire). Das Urheberrecht darf nicht dazu benutzt werden, anerkannte Formen der Meinungskundgabe oder der künstlerischen Entfaltung zu unterdrücken. Die Interessen des Urhebers des verwendeten Werkes müssen deshalb in diesen Fällen zurückgestellt werden (mehr dazu in der Kommentierung zu § 24 UrhG). d) Hat der Urheber in die Beeinträchtigung seines Werkes eingewilligt, so sind seine Interessen regelmäßig nicht gefährdet, es sei denn die Einwilligung bezog sich auf eine Verletzung des unantastbaren Kernbereichs des Urheberrechts oder ist aus sonstigen Gründen unwirksam. Eine vom Urheber erteilte Einwilligung kann auch bedeutsam sein, wenn sie infolge einer Anfechtung nichtig geworden ist, solange der Anfechtungsgrund nicht auf eine Täuschung oder Drohung des anderen beruht. Die im Vertrauen auf den Bestand des nichtigen Vertrages zulässigerweise vorgenommen Eingriffe gefährden nicht die geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers.

III. Rechtsfolgen

Dem Urheber können aus der Verletzung Unterlassungs-, Beseitigungs- und Vernichtungsansprüche entstehen (§§ 97 UrhG ff. f.). Bei Verschulden haftet der Verletzer auch auf Schadensersatz. Schon der Besitz eines entstellten Werkes kann angesichts der darin liegenden Gefahr, dass das Werk an die Öffentlichkeit gelangt, einen Vernichtungsanspruch auslösen (Dreyer in HK-UrhR § 14 Rn. 70). Besteht die Möglichkeit, die Beeinträchtigung rückgängig zu machen, kann der Urheber Beseitigung verlangen.